Links die GS645W mit festem Objektiv, recht die Ur-GS645 die S mit Faltenbalg und Klappmechanismus

Zwei ungleiche Schwestern

Mein Leben mit der Fuji GS645 W und der GS645 S

Ich hatte schon lange den Wunsch auf Reisen auf wieder analog zu Fotografieren. Das letzte Mal, dass ich neben einer digitalen auch eine Filmkamera dabei hatte, war 2010 in Indien. Allerdings war es dort mehr ein Fiasko. Beim digitalen Fotografieren kann man sich mehr auf das Bild konzentrieren. Die Kamera nimmt einem da sehr viel ab. Und so sahen die analogen Bilder eher wie dahin gerotzt aus. Außerdem waren die Filmpatronen, die ich dabei hatte zu kurz konfektioniert. Ich glaubte, die Kamera sei defekt und blockiert. Im dunklen Hotel-Badezimmer öffnete ich die Kamera, nur um festzustellen, dass 12 Bilder in der Patrone waren statt 24. Ich musste die ISO-Codierung schließlich mit Pflaster abkleben und die Kamera manuell einstellen.

Die GS645er von Fuji. Die Rollfilmkameras zum immer dabei haben.

Die GS645er von Fuji. Die Rollfilmkameras zum immer dabei haben.

Mein Plan war nun auf jeden Fall eine Rollfilmkamera zu benutzen. Altbewährte Technik. Keine Automatik. Die Belichtungsmessung über das Telefon. Scharfstellen nach geschätzter Entfernung. Und so nahm ich vier Jahr später einen alten Zeiss-Falter im 6 x 9 Format mit nach China. Das Ergebnis hatte zweifelsohne seinen Charme, aber es war noch um einiges davon entfernt, wie ich mir die Sache vorstellte. Die Entfernung zu schätzen ist auch bei Blendewerten von 11 oder 16 nicht ganz trivial. Auf der Suche nach einer Reisekamera, die meinen Vorstellungen entsprach, stieß ich schließlich auf die Fuji GS645 Wide. Eine leichte Meßsucherkamera, im Format 4,5 x 6 cm, mit einem leichten 60 mm Weitwinkel (KB = ca. 35 mm) mit Belichtungsmessung. Das Objektiv stammt aus dem Ende der 1980er Jahre und war mit somit rattenscharf. Auf einen 120er Rollfilm passen 15 Bilder. Hätte ich die Kamera 20 Jahre früher gefunden, ich hätte nichts anderes gebraucht. Preislich war die Kamera damals noch ein Schnäppchen. Ich zahlte 350 € und steckt noch mal rund 200 für Service und Justage hinein, hatte dafür aber nun eine fast neuwertige Kamera. Heute sind abgearbeitete Modelle selten unter 600 € zu bekommen. Somit liegen die Kameras mittlerweile auf dem Niveau ihres ursprünglichen Neupreises oder sogar darüber. Nachdem ich in den Straßen Frankfurts geübt hatte, begleitete mich die Kamera durch die Wüsten Usbekistans und auf die Gletscher Islands. Außerdem trug ich sie auch sonst oft mit mir herum. Die Digitalkamera blieb nun auch öfter zu Hause. Die 4×5 Inch Großformat-Kamera allerdings auch.

Mit der Fuji GS645 in Island.

Mit der Fuji GS645 in Island.

Im ersten Jahr der Pandemie musste ich mich irgendwann für was auch immer belohnen. Man kennt das. Also hatte ich nichts Bessres zu tun als den Kameratechniker meines Vertrauens anzurufen und nachzufragen, ob er nicht irgendwo eine GS645 mit 75 mm Normalobjektiv rumliegen hat, die große Schwester der Wide. Obwohl in weiten Teilen baugleich mit der Wide eine gänzlich andere Kamera. Statt des fest verbauten Objektivtubus verfügt sie über einen Balgen mit Klappmechanismus vor dem ansonsten identischen Body. Ein Falter mit relativ moderner Technik. Ob man tatsächlich beide Modelle braucht, lasse ich dahingestellt sein. Feststeht jedoch, dass eine moderne Klappkamera einen unheimlichen Coolness-Faktor hervorruft, auch wenn die Bedienung zuweilen gewöhnungsbedürftig ist. Aber dazu später mehr. Zunächst erst einmal ein Profil beider Kameras:

Fuji GS645 W:
Die W ist im Grunde die ideale Reisekamera. Die Brennweite vom 65mm entspricht dem, was wir gemeinhin mit beiden Augen erfassen können, das klassische Reportageweitwinkel. Der Belichtungsmesser arbeitet zwischen 50 und 1600 ASA. In der Regel benutze ich 400 ASA Filme. Ein guter Kompromiss, wenn man auf Reisen auch Innenräume oder auch in dunklen Wäldern fotografiert. Mit einer Ausgangsöffnung von 4,0 ist das Objektiv nicht sonderlich lichtstark. Für den Fall, dass helles Wüstenlicht die Kamera doch an ihre Grenzen bringt (bei 1/500 bei Blende 22 ist Schluß) liegt immer ein 8-fach verlängerter Rotfilter in der Fototasche. Dieser bremst den Film um 3 Blendenstufen aus und erhöht auf dramatische Weise den Kontrast. Dies ist kein Nachteil, wenn man wie ich auf einen schwarzen Himmel mit weißen Wolken steht.

Bei hellem Licht lässt sich ein 400 ASA Film mit einem Rotfilter dämpfen. In der Folge dunkelt der blaue langweilige Himmel stark ab.

Bei hellem Licht lässt sich ein 400 ASA Film mit einem Rotfilter dämpfen. In der Folge dunkelt der blaue langweilige Himmel stark ab.

Das Gehäuse selbst besteht aus robustem Kunststoff. Allerdings lässt sich manchmal der Eindruck nicht erwehren, es handele sich um eine Toy-Camera. Die Bilder, die ich gemacht habe sprechen eine deutlich gegenteilige Sprache. Der Body verfügt über zwei Stativgewinde. Eines für Hochformat und eines für Querformat, wenn man die Kamera doch einmal auf ein Stativ stellen sollte. Das Objektiv ist zusätzlich von einem Schutzbügel umgeben. Wie stabil die Konstruktion tatsächlich ist, kann ich nicht sagen, aber es beruhigt mich immer wieder, wenn der Bügel bei umgehängter Kamera über ein Brückengeländer o.Ä. schrappt.

Streetphotography in Frankfurt. Hier fühlt sich die GS645 W in ihrem Element.

Streetphotography in Frankfurt. Hier fühlt sich die GS645 W in ihrem Element.

Der Messsucher ist nicht so hell und brillant, wie bei einer aktuellen Leica. Mit ein bisschen Übung kommt man aber gut damit klar. Im Hochformat (der Grundausrichtung der Kamera) lässt es sich um einiges besser scharf stellen als im Querformat. Der Sucher hat zudem einen automatischen Parallaxenausgleich. Die Nahgrenze liegt bei 1,0 m. Außerdem wird eine einfache Lichtwaage zur Belichtungsmessung eingespiegelt. Für Schwarz-Weiß-Filme ist das mehr als ausreichend. Was allen Messsucher-Kameras gemein ist, man sieht beim Fotografieren nicht, ob man den Objektivdeckel abgenommen hat. Seitdem ich einige Filme nur halb belichtet hatte, ziert das Objektiv einen Orange farbenen Deckel und hinten am Sucher klebt ein kleiner Zettel mit dem Wort »Deckel«.

Auch handheld in der Dämmerung ist bei 800 ASA gut möglich. Der Zentralverschluß erzeugt so gut wie keine Schwingungen.

Auch handheld in der Dämmerung ist bei 800 ASA gut möglich. Der Zentralverschluß erzeugt so gut wie keine Schwingungen.

Zum Objektiv gibt es nicht so viel zusagen, außer dass es sehr scharf ist. Bei dem Verschluss handelt es sich um einen mechanischen Copal 00. Was man anhand des Auslösegeräusches kaum vermuten möchten. Der Verschluss hört sich eher wie bei einer Spielzeug oder Polaroidkamera an. Der Zeitenbereich spricht jedoch eine andere Sprache. Es lässt sich zwischen 1/500 und 1 Sekunde einstellen. Blende und Zeiten lassen sich jedoch nur in vollen Stufen verstellen. Aber auch hier der Hinweis, dass es für Schwarz-Weiß-Film hinreichend tauglich ist.

 

 

Die rote n Knöpfe dienen dazu die Filmspulen freizugeben und Filmwechsel zu erleichtern.

Die rote n Knöpfe dienen dazu die Filmspulen freizugeben und Filmwechsel zu erleichtern.

Fuji GS645 S:
Der wichtigste Unterschied der S, nicht zu verwechseln mit der SW (Super Wide) der dritten Schwester im Bunde (ohne Messsucher, mit 45 mm Objektiv (KB = 28 mm) und Anfangsöffung 5,6) ist sicher das 75 mm Objektiv. Es entspricht 43mm KB und zeigt somit ungefähr das, was wir mit nur einem Auge sehen. Der Unterschied zu W fällt in der Praxis viel kleiner aus, als ich erwartet hatte. Mit der S ist man etwas näher dran und man kann das Bild besser verdichten. Mit einer Anfangsblende von 3,4 ist das Objektiv eine Idee schneller. Ein Vorteil, der aufgrund der längeren Brennweite jedoch kaum ins Gewicht fällt. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass die Kamera mit der längeren Brennweite sehr viel besser für Porträts geeignet ist. Bei der W sind diese wegen der Verzeichnung der Gesichter im Nahbereich nur eingeschränkt möglich.

Der geringere Bildwinkel der GS645 S wird in der Praxis ohne Vergleich nicht sichtbar.

Der geringere Bildwinkel der GS645 S wird in der Praxis ohne Vergleich nicht sichtbar.

Der hintere Teil des Gehäuses samt Messsucher entspricht dem der W. Auch hier finden wir bei geöffneter Klappe die kleinen roten Knöpfe, die einem das Filmeinlegen ungemein erleichtern, weil die untere Arretierung der Filmspule einfach aus dem Gehäuse heraus spring und so Platz zum Einlegen frei gibt. Der vordere Teil ist eine Klappe mit einem Faltenbalg, mit dem das Objektiv platzsparend beim Transport in die Kamera eingefaltet werden kann. Wichtig beim Einklappen: Das Objektiv muss auf unendlich stehen, also in der kürzesten Position und der Verschluss muss aufgezogen sein. Sonst lässt sich die Kamera nicht schließen. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Meßsucher beim Zuklappen von der restlichen Mechanik entkoppelt wird. Damit beim Öffnen der Kamera alles in der richtigen Position ist, sind die o.g. Maßnahmen nötig.

Mit der längeren Brennweite kann man die Bilder sehr gut verdichten.

Mit der längeren Brennweite kann man die Bilder sehr gut verdichten.

Bei Gebrauchtgeräten sollte man dringend einen Blick auf den Balgen werfen. Fuji hatte die Kamera ursprünglich mit einem einlagigen Balgen ausgeliefert, der in den meisten Fällen nach 30 Jahren nicht mehr dicht ist. Man ist also gut beraten, den alten Balgen durch einen neuen mehrlagigen zu ersetzten. Gleiches gilt für die Dichtung vom Balgen zum Gehäuse. Sie verfügt über einen Schlitz um die überschüssige Luft beim Einklappen aus dem Balgen entweichen zulassen. Auch hier kann es bei bröseligen Dichtungen zum Lichteinfall kommen. Es zeigen sich dann bei starkem Sonnenlicht schwarze Balken auf den Negativen.

Dieses Motiv hätte mit 60mm Weitwinkel nicht mehr funktioniert.

Dieses Motiv hätte mit 60mm Weitwinkel nicht mehr funktioniert.

Das Objektiv sitzt ebenfalls in einem Copal-Verschluss der Größe 00, der jedoch weniger laut klackt, als der der W. Des Weiteren lässt sich die Blende am Objektiv stufenlos verstellen, was zu einer genaueren Belichtung des Filmmaterials führt. Was fehlt, ist jedoch ein Filtergewinde. Warum Fuji darauf verzichtet hat, ist mir schleierhaft. Auf jeden Fall gibt es nur einen ganz seltenen zu bekommenden Aufsatz auf das Objektiv, der dann eine Sonnenblende oder einen Filter aufnehmen kann.

Beide Kameras verfügen über Mittenschuh und PC-Buchse für den Blitzanschluss. Die Synchronzeit liegt, dank Zentralverschluss, bei den schnellen 1/500. Im Sucher steckt ein Standard-Okular-Anschluss, welcher auch Gummiblenden von Nikon aufnehmen kann. Das Gewicht der Kameras liegt mit 820 g für die S und 766 g für die W auf dem Niveau eines aktuellen Leica-Bodys.

Fazit:
Ich kann mich nicht recht entscheiden. Aber wenn man eine der beiden Kameras hat, hat man eigentlich genug. Auf Reisen bin ich mit der GS645 W besser bedient, da sie über ein Filtergewinde verfügt und ich somit nur 400 ASA Filme mitnehmen muss, die ich nach Bedarf mit einem Rotfilter herunter bremse. Das Weitwinkel ist sicherlich auch von Vorteil. Die S mag ich weil sie unaufällig ist und man bei Straßenfotografie einfach ein wenig mehr Fluchtdiszanz überbrücken kann. Und natürlich weil ein Falter einfach Stil hat, man kann es nicht anders sagen.