So-froehlich photography

Discover the world

Bikaner, das Tor zur Wüste

Bikaner, Indien 2010
Die Straßen werden sauberer und die Garagen in denen sich die Läden befinden vertrauen-erweckender. Ich schaffe es sogar, an einem Stand neben einer Tankstelle, mit den Mädels Marsala Chai, den indischen Gewürztee, zu trinken, den der Verkäufer frisch in einem alten Kessel zubereitet hat. Nochmal zur Erinnerung. Alter Kessel bedeutet schwarz verkrustet also in einem Zustand in dem ich zu Hause noch nicht ein-mal heiße Maronen draus essen würde. Aber hier geht das. No Problem. Der Chai ist wunderbar. Ein alter Mann, dürr, mit ledriger Haut, weiß gekleidet und mit einem weißen Turban gesellt sich zu uns. Die Kommunikation läuft schleppend. Auch der Kioskverkäufer spricht zu wenig Englisch um dolmetschen zu können. Schließlich verstehe aber doch, dass der Alte wissen will wo wir herkommen. Und mein „Dscheermannie“ versteht er dann sofort. Er lächelt, bietet mir einen Stuhl an, spricht ein paar unverständliche Worte und geht seiner Wege. Ich hätte ihn fragen sollen, ob ich ihn fotografieren darf. Aber ich bin einfach immer noch zu überrascht. Mein erster Kontakt mit einem Einheimischen. Für mich etwas Besonderes, bin ich doch eigentlich eher introvertiert. Ich komme also langsam in diesem Land an.

Die Landschaft wird immer „wüster“. Das Klima wärmer und trockener und auch der Brandgeruch, der mich seit Delhi verfolgt, ist nicht mehr so aufdringlich. Es liegt hier deutlich weniger Müll herum als in Jaipur und Umgebung. Irritierend sind jedoch die großen Müllhaufen, an den Kreuzungen der kleinen Straßen, die in die Dörfer gehen. Aber auch dafür gibt es eine Erklärung. Müllabfuhr so wir sie kennen gibt es hier nicht. Die Bewohner der Dörfer sammeln ihren Müll und bringen ihn an die Landstraße, wo er dann alle paar Wochen abgeholt wird. Das System scheint in meinen Augen noch nicht ganz ausgereift und ich beginne unsere heimische Müllabfuhr langsam mit anderen Augen zu sehen, aber es ist immerhin ein Anfang. Die Landschaft gleitet an mir vorbei. Ich trinke den letzten Schluck Wasser aus meiner Flasche und knülle sie bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Bei mir zu Hause ist das ein absolutes No-Go, wird doch keine so behandelte Flasche in den Pfandautomaten mehr erkannt und man kann sich in langwierigen Verhandlungen mit den Angestellten der Supermärkte wiederfinden, ob die Flasche nun abgenommen wird oder nicht. Hier ist es ein Mittel zum Selbstschutz. Es kommt oft vor, dass Kinder intakte Flaschen mit Leitungswasser auffüllen, den Deckel verkleben und diese dann an Touristen verkaufen. Ich hab, Inder sei dank, wieder was gelernt. Wir kommen in Bikaner, der Stadt am Rande der Wüste, an. Das Hotel ist ein Traum. Es ist dem Stil eines Maharadschapalastes nachempfunden und straft den Eintrag im Reiseführer, wonach man hier eher auf äußeren Glanz Wert legen würde, Lügen. Es gibt eine große Auffahrt mit einem Wächter. Und, man höre und staune, funktionsfähiges Internet. Ich richte mich also ein wenig ein, mache mich frisch und schreibe noch schnell eine E-Mail.Ein wenig abgehetzt komme ich in die Eingangshalle, die man entweder über die steile Treppe oder mit dem verglasten Aufzug betritt. Die Wände sind mit floralen Mustern bemalt. Und zum ersten Mal komme ich mir vor wie in Tausendundeiner Nacht.

Draußen vor dem Hotel warten ein paar Pferdekutschen. Und ein paar Minuten später sitze ich auch schon in einer drin und wir fahren durch die Stadt. Der Abgasgeruch wird wieder stärker. Mittlerweile hab ich aber wohl daran gewöhnt. Es stört mich nicht mehr. Wir stehen im Stau. Und, kaum zu glauben, ich genieße es. Daheim würde ich jetzt fluchen. Hier macht es Spaß. Es ist genug Zeit um sich von der erhöhten Sitzposition in der Kutsche alles in Ruhe anzusehen. Es gibt parkende Autos, parkende Motorräder und parkende Kamele. Das Verkehrsgewühl gleicht einem gordischen Knoten. Mopedfahrer sind deutlich im Vorteil und drängen sich überall durch. Kinder spähen aus den überfüllten Tuc-Tucs und winken. Ich winke zurück. Es ist ein fremdes und zugleich auch ein tolles Gefühl für mich, exotisch zu sein. Trotz des Staus sind die meisten Inder entspannt. Es ist wie es ist. Nämlich alles viel relaxter als bei uns. Irgendwann geht es dann weiter voran. Erst langsam, dann schneller. Mittlerweile dämmert es. Wir erreichen das rote Fort und biegen ab. Entlang den roten Mauern. Wir stoppen um in Ruhe einen Blick auf das Fort zu werfen. In diesem Moment entbrennt vor mir eine wilde Beißerei zwischen drei Hunden. Ich beginne zu begreifen, warum Martin Mosebach die Erzählung seines Aufenthaltes in Bikaner „Stadt der wilden Hunde“ genannt hat. Mir wird auch klar, dass U. recht hatte als sie mir sagte: “Natürlich bin ich gegen Tollwut geimpft. Du hast keine Chance mehr, wenn ein Hund einfach auf dich zu rennt und dich beißt!“ Ich wollte es anfangs nicht recht glauben. Verschiedene Ärzte hatten mir zu Hause von einer Tollwutimpfung abgeraten, weil sie so schlecht verträglich sei. „Wenn sie nicht beruflich mit Tieren zu tun haben brauchen sie die nicht unbedingt.“ Klar, hab ich gedacht, ich bin ja nicht der Typ der jeden herumstreunenden Hund streicheln muss. Und, natürlich hab ich auch einen Hund und ich weiß Körpersprache zu deuten. Hier an der roten Mauer werde ich eines Besseren belehrt. Man braucht nicht viel Eigeninitiative zu zeigen, um zufällig in so eine Beißerei hinein zu geraten. Indien ist weltweit das Land mit den meisten Tollwuterkrankungen. Die Krankheit wird durch streunende Hunde und Vampir-Fledermäuse übertragen. Ich beschließe mich vor der nächsten Indienreise impfen zu lassen.

Es ist inzwischen dunkel geworden. Die Temperaturen sind angenehm. Ich sitze im T-Shirt auf der Dachterrasse des Hotels und warte auf mein Essen. Das Hotel ist das höchste Gebäude in der Umgebung und so kann ich über die Flachdächer der schwach beleuchteten Stadt blicken. Hier und da geht ein Feuerwerk hoch. Mir kommt in den Sinn, dass es bis zur pakistanischen Grenze nur rund 150 Km sind. Die Militärpräsenz in der Umgebung von Bikaner lässt das kaum vergessen. Ich schaue in die Runde. „So könnte es am Vorabend eines Krieges aussehen,“ sage ich, „ die Journalisten warten auf der Hotelterrasse auf den Einschlag der ersten Rakete.“ Die anderen schauen mich in der Erwartung einer Pointe oder eines derben, geschmacklosen Witzes an. Ich schaue schweigend zurück. Dann nicken sie nachdenklich. Vor dem Hotel hört man das Stakkato von Knallfröschen.

(Originaltext von 2010)